Demmers Blog

Südindien – Eine Teereise mit Andrew Demmer

Teereise Nilgiri Südindien
Geschrieben von Nadja
Veröffentlicht am 11. Mai 2017
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Teereise

Jedes Jahr besucht Andrew Demmer eine der Teeregionen der Welt und 2017 sind es die Nilgiris in Südindien. Folgt uns auf unserer Tee-Pilgerfahrt, denn wir werden zum ersten Mal den Tee selbst „live“ erleben!

1. Tag: Delhi – Ein geschmackvoller Kulturschock

Voller Tatendrang und Vorfreude (und einer vollen Reiseapotheke) steigen wir in Wien ins Flugzeug. Der Direktflug nach Delhi vergeht rasch und schon werden wir in eine völlig fremde Kultur katapultiert. Die Schlange zur Einreisekontrolle ist endlos aber irgendwann schaffen wir es doch ihr zu entkommen und fahren direkt nach Old Delhi. Raus aus dem Bus, rein ins Getümmel! Zu Fuß bahnen wir uns – teilweise an den Rockzipfel der Person vor uns klammernd – den Weg durch unfassbare Menschenmassen, die ebenfalls Richtung Gewürzmarkt strömen. Der erste Eindruck wird ein dauerhafter: in Indien ist nichts dezent oder leise. Hier ist alles bunt, laut und spannend – Gerüche, Farben und Geräusche überschlagen sich! Kein Haus, kein Sari, keine Rikscha gleicht der anderen. Masala, Mango und Rosen liegen in der Luft. Und gehupt wird, als ob es kein Morgen gäbe!

Unser Herr Demmer ist schon ein „alter Hase“ in Indien und führt uns vollkommen unbeeindruckt von den Menschenmassen seelenruhig in ein grandioses Mittagslokal voller Einheimischer – und wir meinen VOLL! Er bestellt einmal die Speisekarte rauf und runter und wir tauchen in die komplexe Welt der Indischen Küche ein. Die Linsen, der Paneer (indischer Frischkäse), das Mango-Chutney, die vielseitigen Brote, die nicht ganz identifizierte Minzsaoße – wir sind hingerissen! Mit einer Großpackung indischer Süßigkeiten mit Safran und Blattsilber unter dem Arm geht es wieder hinaus in den Dschungel von Old Delhi. Am Gewürzmarkt decken wir uns für kulinarische Eskapaden am heimischen Herd ein und grinsen mittlerweile von einem Ohr zum anderen. Wir sind in einer anderen Welt angekommen.

Eine Rikscha-Fahrt später – gespickt von Hupen, Nachbar-Rikscha-Nahkontakten und einer Mini-Kollision – kommen wir beim Bus an, der uns ins Hotel nahe dem Flughafen bringt. Denn am nächsten Morgen geht es schon weiter Richtung Tee!

2. Tag: Coimbatore / Ooty – Emotional & kolonial

In den frühen Morgenstunden steigen wir in Delhi ins Flugzeug, denn unser eigentliches Ziel – der Süden – ist noch weit entfernt. Knackige drei Stunden später landen wir im herrlich warmen und dezent schwülen Coimbatore. Ein paar Palmen lachen uns an und wir treten die Reise Richtung Ooty in unserem Mini-Bus an. Als echte Europäer belegen wir natürlich Kofferraum und die letzte Sitzreihe mit Gepäck. Für uns ein beinahe historischer Moment ist ein Boxenstopp mit unserem ersten Masala-Chai der Reise. Himmlisch. Unterwegs sehen wir vom Bus aus die ersten Teegärten. Ein überraschend emotionaler Moment für uns – zuerst fotografieren wir noch, aber dann starren wir eher gebannt aus dem Busfenster in die Ferne der zarten Büsche. Wir können es kaum erwarten durch die Gärten zu wandeln.

Aber zuerst steht noch Ooty auf dem Programm. Unser Ziel ist der Ooty Club – eine Institution aus der Kolonialzeit. Die wunderschönen Gärten und herrliche Einrichtung im Kolonialstil begeistern uns sofort. Wir verstauen unser Gepäck, hüpfen kurz auf die welt-härtesten Matratzen und dann geht es zum Mittagessen in einen englischen Club in der Nähe. Köstlich! Wir lernen zwei wichtige Dinge über die Indische Küche: 1. Was ist ein Thali? Viele verschiedene herrliche Gerichte serviert auf einem schönen Tablett mit kleinen Schälchen – perfekt für Unentschlossene! 2. Was ist „not so spicy“? Das ist indisch für „Immer noch viel zu scharf für uns!“.

Danach genießen wir das herrliche Wetter bei einem ausgedehnten Spaziergang durch den botanischen Garten in Ooty und kehren zum Nachmittagstee im Ooty Club ein. Nicht ganz stilecht von uns am Zimmer zubereitet, aber mit den Süßigkeiten aus Old Delhi besonders aufgewertet. Herr Demmer erzählt uns spannende Geschichten zu dem historischen Club, in dem wir übernachten dürfen. Anscheinend wurde hier Snooker erfunden. Naja. Das ist wohl wie der Streit darum, wer das Kipferl erfunden hat.

An der Kleiderordnung für das Abendessen bemerken wir erst richtig, dass wir an einem noblen Ort gelandet sind. Die Männer unserer Gruppe bekommen von der Rezeption Sakkos und Krawatten verpasst, wir Frauen dürfen ausnahmsweise in unseren Sportschuhen bleiben, und wir dinieren recht gediegen bei Kaminfeuer mit Silberbesteck. Bei der letzten Tasse Tee des Tages blickt das junge Portrait der Queen auf uns herab. Sehr lustig. Fast schade, dass es morgen wieder weiter geht.

3. Tag: Chamraj – Aug‘ in Aug‘ mit dem Tee

Den starken Einfluss der Briten auf Indien merken wir heute auch beim Frühstück. Toast, gesalzene Butter, Orangenmarmelade und das von Andrew Demmer geliebte und von uns kritisch beäugte Marmite (eine vegetarische Würzpaste, die man auf Brot streichen kann und geschmacklich stark an die flüssige Maggi Würze erinnert). So gestärkt von geschmacklicher Kuriosität treten wir die Fahrt nach Chamraj an.

Auf dem Gelände der Teefabrik werden wir vom Teemanager empfangen, verkosten unseren ersten Chamraj-Tee und machen eine spannende Führung durch die Fabrik. Die herzlichen Mitarbeiter/innen zeigen uns alle Schritte des Produktionsprozesses und wir entdecken sogar einige Dinge, die selbst uns als „Teekennern“ noch unbekannt sind, z.b. eine japanische Maschine die fertig verarbeitete Teeblätter nach Farbunterschieden sortiert. Es ist faszinierend, das alles endlich „live“ zu erleben. Was uns am meisten begeistert, ist der Duft. Nach jedem Produktionsschritt verändert sich der Geruch der Blätter. Es riecht so herrlich frisch und grün und pflanzlich in der Fabrik, uns läuft das Wasser im Mund zusammen. Wir ertasten die Blätter, die sich über die Produktion von hart und knackig über weich und seidig bis zu warm und trocken verändern. Ein einmaliges Erlebnis!

Zum Mittagessen sind wir im privaten Haus des Teemanagers von Chamraj eingeladen. Wir lernen die typische Art kennen, wie in indischen Haushalten gegessen wird. Auf einem großen Tisch in der Mitte werden die vielseitigen Gerichte als Buffet aufgetragen und wir sitzen in guter Distanz zum Tisch in einem Sesselkreis rundherum mit unseren Tellern in der Hand. Sehr lustig und sehr herausfordernd. Gabel UND Messer zu benutzen, kommt jedenfalls nicht in Frage. Angetrieben von großem Appetit meistern wir die Herausforderung. Mit Nachschlag.

Das besondere an UNITEA – der Kooperative hinter den Teegärten Chamraj und Korakundah –  sind die zahlreichen Sozialprojekte, die durch die Firmen der Kooperative erhalten werden. Krankenhaus, Schule, Waisenhaus und vieles mehr wurden durch die Kooperative gegründet und laufend erweitert. Wir besuchen die Schule, wo wir von lachenden Kindergesichtern empfangen werden – sie sind von uns genauso fasziniert wie wir von ihnen. Sie posieren für uns und zeigen sich von ihrer besten, herzensbrechendsten Seite und winken uns im großen Stil „Bye-Bye“. Auch die moderne Ausrüstung und umfangreichen Angebote bei Untersuchung und Behandlung im Krankenhaus, das wir danach besichtigen, hinterlassen einen bleibenden Eindruck bei uns.

Und weil wir vom Tee nicht genug bekommen können, fahren wir zu einem schönen Aussichtspunkt weit oben in den Teeplantagen von Chamraj und spazieren langsam auf schlängelnden Straßen durch die Büsche wieder ins Dorf. Die Frage, wie viele Tee-Selfies ein Mensch braucht, bleibt ungeklärt.

Am Abend erweisen uns die Manager eine besondere Ehre und laden uns zum Essen in einem englischen Militärclub ein. Es ist sehr exklusiv und wir kommen aufgrund der Kleiderordnung fast nicht hinein. Jedes Abendessen beginnt mit einer ausgedehnten Cocktailstunde mit kleinen Snacks und großer Konversation. Sehr gemütlich, könnte man auch bei uns einführen! Danach folgt ein typisch englisches Abendessen, was in uns deutlich weniger Begeisterung hervorruft. Warum Sheperd’s Pie essen, wenn man in einem Land ist, das mit seinen würzigen Versuchungen lockt? Die Briten sind wirklich nicht berühmt für ihre Küche – mehr wollen wir gar nicht dazu sagen.

4. Tag: Korakundah – Büffel, Nebel, Pflückversuche

Britisch-Indisches Frühstück und dann auf nach Korakundah! Die biologisch-dynamische Plantage und Fabrik der Kooperative liegt auf großer Höhe mitten im Dschungel. Unterwegs treffen wir eine Büffelfamilie, die gemütlich Tee grast. Nicht nur wir fotografieren wie die Wilden, ein paar tollkühne Inder versuchen sich am Büffel-Selfie.

In Korakundah angekommen geht es nach einer großen Verkostung direkt zu den Teegärten. Wir erleben Tee, wie man es sich im Bilderbuch vorstellt. Ein steiler Hang mit dichten, grünen Büschen. Zarte Nebelschwaden ziehen wie in Zeitlupe vorbei. Warmes, dezentes Sonnenlicht. Absolute Stille bis auf ein wenig Rascheln und Vogelgezwitscher. Und dazwischen arbeiten viele fleißige Pflückerinnen. Flott und behutsam gleichzeitig pflücken sie „Two leaves and a bud“ und werfen die grünen Büschel in die geflochtenen Körbe, die sie am Rücken tragen. Wir wollen auch unser Glück versuchen und pflücken unter Anleitung ein paar Blätter. Bei uns eine Hand voll – bei der Pflückerin ein Korb voll. Da werden wir wohl noch ein wenig üben müssen.

Der Manager von Korakundah zeigt uns alle Anlagen, die sie für den vorbildlichen biologisch-dynamischen Anbau brauchen. Anbau des Kuhfutters in Becken (siehe Foto rechts) oder auch die Verarbeitung des Kuhdungs mit Hilfe von fleißigen Erdwürmern zu reichhaltigem Bio-Dünger. Dabei werden die Erdwürmer in die großen Tröge (siehe Foto unten links) eingesetzt, ein Erde-Kuhmist-Gemisch wird darauf geschüttet und das kleine Tierchen arbeitet sich langsam nach oben. Dabei scheidet er reichhaltigen Kot aus, der als hochwertiger Dünger wiederum für die Teepflanzen eingesetzt wird. Auch die Kuhmilch wird für die Mitarbeiter der Teeplantage verarbeitet, denn diese zählt in der ayurvedischen Ernährung zum Grundnahrungsmittel und soll besonders gesund sein. All das passiert auf der Plantage. Nichts muss zugekauft werden, alles wird genutzt. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Eine Frage bleibt am Ende: Wie vermehrt sich ein Erdwurm? Unser Herr Demmer weiß die Antwort: Kamasutra.

Wir lassen den Abend mit einer Cocktailstunde und Essen im Haus des Managers von der Teeplantage Chamraj ausklingen. Denn ein Aperitif (Gin Tonic oder Whiskey) mit ein bis zwei Stunden Small Talk vor dem Essen zählt zum guten Ton. Etwas schwer fallen wir ins Bett. Ob es am Gin Tonic liegt oder an dem schwermütigen Abschied vom Tee lässt sich nicht ganz sagen.

Am nächsten Tag werfen wir noch einen letzten Blick auf die Teeplantagen, die wir von unserem Quartier aus sehen können und treten die lange Heimreise an. So viele Eindrücke in so kurzer Zeit. Und so viel Tee. Irgendwas in uns fühlt sich jetzt komplett an.